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Die vergessenen Nachbarn - wer kennt sie noch?

09.11.2025

Das Buch „Die vergessenen Nachbarn - wer kennt sie noch?“ von Hans-Josef Kellner ist vom Kreisheimat- und Geschichtsverein Beckum-Warendorf digitalisiert worden.

Den Link zur Seite und zum kompletten Buch als PDF finden Sie hier:

Buchinformationen

  • Verlag: Kreisgeschichtsverein Beckum-Warendorf
  • Autor: Hans-Josef Kellner
  • Erschienen am: 2012-01-01
  • ISBN-10: 3-920836-98-7
  • ISBN-13: 978-3-920836-98-0

I. Vorwort

Die Geschichte der jüdischen Familien Waderslohs ist kein erratischer Block, sondern Teil der Geschichte des Dorfes, verwoben in die lokalen und sozialen Strukturen des Dorfes. Aufgabe dieses Buches ist daher auch, diese Verwobenheit, dieses Eingebundensein aufzuzeigen.

Aus diesem Grund ist die jüdische Geschichte Waderslohs in ausführlicher Breite dargestellt, spiegelt sie doch große Teile der Dorfgeschichte wider. Diese besteht zum einen aus dem Eigenleben des Dorfes, dem Zusammenleben seiner Menschen mit allen Höhen und Tiefen, dem menschlichen Handeln, eingespannt zwischen menschlicher Bewährung und menschlichen Unzulänglichkeiten.

Diese Dorfgeschichte zeigt zum anderen aber auch die Fremdbestimmung, der das Dorf (und der ländliche Raum) ausgesetzt ist, — mehr als der städtische Raum, der mit seiner „Masse“ und dem Wählerpotential eher Einfluss nehmen kann. Die Einflüsse von außen haben dem Dorf positive, aber auch höchst negative Impulse gegeben.

Der zweite Beweggrund für dieses Buch ist aufzuzeigen, dass es schwerwiegende Folgen hat, wenn man aus diesem „Gewebe“, das ja aus Menschen besteht, mit Gewalt etwas herausschneidet. Es ist unerträglich, auf diese Weise auch nur einen Menschen zu verlieren, geschweige denn ganze Familien. Die Folgen sind bis heute spürbar, und werden es noch lange sein.

„Kann man das denn nicht endlich mal ruhen lassen!“ Das ist eine häufige Aussage, wenn man ältere Menschen nach der Behandlung der Juden in der NS-Zeit fragt. Fragt man sie nach ihren Kriegserinnerungen, eventuell nach Flucht und Vertreibung, dann hört man diesen Satz nicht. Worin besteht der Unterschied? Er liegt wohl darin, dass beim Krieg und seinen Folgen (vermeintlich) alles durch Fremdwirkung, also von außen kam. Beim Thema Judenverfolgung fühlte man sich selbst betroffen, sah man sich selbst im Spiegel, und der zeigte bei der großen Mehrheit, die nicht Täter war, ein Bild von Hilfslosigkeit und Ohnmacht, bis hin zu Schuldgefühlen. „Vielleicht hätte ich doch etwas tun müssen, tun können, habe es aber nicht getan!“ Es liegt auf der Hand, dass man das gern verdrängt und nichts mehr damit zu tun haben will.

Doch man kann 1987 wie 2012 nicht nur die positiven Seiten der Geschichte des Dorfes Wadersloh feiern, man muss auch die empfindlichen Stellen seiner Geschichte nennen — und die Wahrheit schafft „Erlösung“, so bitter sie auch ist. Es ist wie bei den beiden Seiten einer Münze, man kann sie nicht voneinander trennen. Das wird zum Beispiel an einem Datum wie dem 9. November deutlich, das einerseits von der Pogromnacht des 9. November 1938 besetzt ist, aber auch vom Fall der Mauer am 9. November 1989. Die Erinnerung an beide Daten ist für unser historisches Gedächtnis unverzichtbar.

Die jüdische Geschichte Waderslohs war eigentlich eine Erfolgsgeschichte, die ihren Höhepunkt 1925 erreichte, als Louis Gutmann in Wadersloh Schützenkönig wurde. Damit war ein Höchstmaß an Emanzipation erreicht, - und sie wäre auch für die Zukunft kein Thema mehr gewesen. Bis 1933 war es eine Geschichte der Wechselwirkungen im Dorf und in den Verwaltungsebenen, mit Spannung und Mängeln, aber es war keine “Schuldgeschichte” (Aschoff).

Hans-Josef Kellner: Die vergessenen Nachbarn - Jüdisches Leben in Wadersloh

Inhalt

Zum Geleit: Bürgermeister Christian Thegelkamp 9

Zum Geleit: Prof. Dr. Paul Leidinger 10

I. Vorwort 13

II. Napoleons „Federstrich“ (- 1815)

  1. Unruhige Zeiten – verschiedene Herren 15
  2. Emanzipation mit Einschränkungen 16

III. „Chaotische“ Rechtslage (1815 – 1847)

  1. Die ersten Juden im Dorf 18

  2. Das Münsterland – ein Armenhaus 21

  3. Preußische Repressionen 22

    1. Bestandsaufnahme mit Stereotypen 23
    2. Zweierlei Juden 28
    3. Der Kampf mit den Behörden 30
    4. Verhinderte Zuzüge 34
  4. Das Leben der Juden im Dorf 38

    1. „Dach über dem Kopf“ 38
    2. Das Zusammenleben im Dorf 40
    3. Schulpflicht 43
    4. Ein Privatlehrer 44
    5. Schule und Erziehung 48
    6. Glaube und Vorschriften 48
    7. Heiraten 50
    8. Gemeindeleben und Spannungen 52
    9. Ein eigener Friedhof 56
    10. Korporationsschulden und Landrabbiner 58
  5. Behörden – Willkür und Schutz 62

  6. Brandstiftung im Dorf 65

  7. Ein Jude in Liesborn 68

  8. Genehmigte Zuzüge 71

  9. „Sprengstoff“ Liberalismus 74

IV. „Geordnete“ Verhältnisse (1847 – 1869)

  1. Das Gesetz von 1847 77
  2. Das Gehalt des Landesrabbiners 78
  3. „Standesamt“ für Juden 80
  4. Das Ringen um die Synagogengemeinde 82
  5. Eigenleben in der Betsstube 85
  6. Zwei Friedhöfe 87
  7. Die Synagogengemeinde Oelde 89
  8. Die 2. Generation 96
  9. Akkulturation 98
  10. Innerleben der Gemeinde 104

V. Emanzipation mit „Bodensatz“ (1869 – 1914)

  1. Der autoritäre Staat und seine „Gegner“ 102

  2. Rassendenken und Antisemitismus 103

  3. „Geschwisterliche“ Vorurteile 105

  4. „Latentes Pogromklima“ 106

  5. Liberalisierung und Assimilation 107

    1. Weitere Zuzüge 109
    2. Dienstmädchen und Nachbarschaften 113
    3. Kaisertreu und ungeliebt 116
    4. Einbindung in die Vereine 116
    5. Wirtschaftlicher Aufschwung 120
    6. Bürgerliche Ansprüche 121
    7. Vorsprung durch Bildung 130
    8. Unternehmende Wadersloh 136
    9. Etabliertes Gewerbe 137

VI. Die „Urkatastrophe“ und ihre Folgen (1914 – 1933)

  1. Der 1. Weltkrieg und die Judenzählung 138
  2. Demokratie mit Hypotheken 143
  3. Schwere Zeiten 144
  4. Wandel im Gewerbe 147
  5. Höhepunkt der Emanzipation und Integration 149
  6. Aufquellen des „Bodensatzes“ 155

VII. Ausgrenzung – Entrechtung – Vernichtung (1933 – 1945)

  1. Selbstaufgabe der Demokratie 159

  2. Gleichschaltung im Dorf 161

  3. Erste Ausgrenzungen 162

  4. Die „Nürnberger Gesetze“ 166

  5. Auswanderung als Lösung 171

  6. Wirtschaftliche Verdrängung 174

  7. Besitzteilung und Schikanen 175

  8. Staatlich organisierter Raub 179

  9. Risse im Dorf 181

  10. Erfassung der „Mischlinge“ 189

  11. Propaganda und Terror 190

  12. Ausgrenzung und Enteignung 191

  13. Die „reichsweite Aktion“ 201

    1. Staatlich organisierter „Volkszorn“ 202
    2. Auch in Wadersloh 203
    3. Einheimische Täter 210
    4. Zwischen Angst und Christenpflicht 216
    5. Staatlicher Zynismus 221
  14. Enteignete Auswanderung 225

  15. “Arisierung” der Immobilien 230

  16. Demütigung der Ausgegrenzten 242

  17. Mangel an Mitgefühl - Zivilcourage 244

  18. Rettung im letzten Augenblick 249

  19. Tödliche Falle Deutschland 253

    1. Akribische Vorbereitungen 253
    2. „Aussiedlung“ nach Riga 255
    3. Versuche der Verschleierung 262
    4. Theresienstadt ... Auschwitz 267

VIII. Böses Erwachen und Verdrängung (1945 – 1960)

  1. Das ganze Ausmaß des Holocaust 276
  2. Schwierige Anfänge in der „neuen Heimat“ 277
  3. Verdrängung in der „alten Heimat“ 278
  4. „Befehlsnotstand“ der Täter 281
  5. „Wieder-gut-machung“ 283
  6. Aufarbeitung: juristisch – medial – kirchlich 295
  7. Kollektivschuld 298

IX. Der „lange Schatten“ der Wahrheit (1960 – 2012)

  1. Erinnern – Gedenken – Mahnen: Handeln! 300

  2. Orte der Erinnerung 301

    1. Die Erinnerungstafel 301
    2. Das Mahnmal 305
  3. Das Thema in den Schulen .313

X. Nachwort 318

XI. Die jüdischen Familien Waderslohs

  1. Familie Bacharach 320
  2. Familie Cohn – Löwenbach 322
  3. Familie Edler – Liebreich – Loe 329
  4. Familie Gutmann 338
  5. Familie Löwenstein – Moos 348
  6. Familie Silberberg 358

XII. Der jüdische Friedhof an der Kirkstiege ..376

Dokumentation der Grabsteine 390

Anhang

Anlagen 409

Abkürzungsverzeichnis 452

Quellen- und Literaturverzeichnis 452